- E-Orgel, Elektronenorgel
- E-Orgel, Elektronenorgel:im engeren Sinn umfasst der Begriff alle elektronischen Tasteninstrumente, die in ihrem Klang und in der Bauweise ihrer Spielvorrichtung Ähnlichkeit zur historischen Pfeifenorgel (Orgel) besitzen; im weiteren Sinn zählen auch Modelle mit elektromechanischer Klangerzeugung dazu. Die Übernahme der Bezeichnung »Orgel« für diese elektronischen Instrumente scheint nicht so sehr durch ihre Klangverwandtschaft zum Originalinstrument gerechtfertigt (den Klang einer großen Kirchenorgel können die meisten E-Orgeln nur unvollkommen imitieren), als vielmehr durch die gleiche Anlage der Vorrichtungen zum Spielen (Manuale, Pedal) und zur Klangbildung (Register). Dem geplanten Verwendungszweck und dem jeweiligen technischen Entwicklungsstand entsprechend, existiert eine Vielfalt an Bauvarianten (Klangsyntheseverfahren, Ausstattung). Einfach strukturierte, kleine Instrumente besitzen nur ein Manual (Tastenreihe), wenige Register und Klangeffekte. Bei einigen Modellen lassen sich Bass- und Höhenbereich getrennt registrieren (Manualteilung, Splitting). Große E-Orgeln ähneln in der Anlage ihres Spieltischs der Pfeifenorgel, verfügen über mehrere terrassenförmig angeordnete Manuale (jeweils vier oder fünf Oktaven Tonumfang), Basspedal, differenzierte Registriermöglichkeiten (für jedes Manual gesondert), zahlreiche zusätzliche Effekte und automatische Spielhilfen. Der Tonumfang des Basspedals beträgt mindestens eine Oktave (Stummelpedal), jedoch selten mehr als eine Dezime. Das Pedal wird vorzugsweise mit dem linken Fuß gespielt, während der rechte ein Lautstärkeschwellpedal bedient. Das Lautstärkeverhältnis der Manuale untereinander kann über Schieberegler verändert werden. Es lassen sich stationäre E-Orgeln für den Heimgebrauch, für Kirchen, Kinos oder Gaststätten (oft mit kompaktem Holzgehäuse, eingebautem Verstärker und Lautsprecher) und transportable Geräte für den Bühneneinsatz unterscheiden.1935 stand mit der Hammond-Orgel (produziert von Hammond Organ Co., Chicago) erstmals eine klanglichen und spielpraktischen Anforderungen genügende elektromechanische Orgel zur Verfügung. Zur Tonerzeugung dienten Zahnradgeneratoren, die sinusförmige elektrische Schwingungen produzierten. Über ein Zugriegelsystem konnten zum Grundton sechs Obertöne hinzugemischt werden. Die Klangformung bei der Hammond-Orgel beruht somit auf dem Prinzip der additiven Klangsynthese. Bis in die Fünfzigerjahre wurden verschiedene Orgeln mit anderen elektromechanischen Klangerzeugungsverfahren entwickelt, die jedoch bei weitem nicht den kommerziellen Erfolg der Hammond-Orgel erzielen konnten. Dazu zählen auch die Lichtton-Orgel (1936) des deutschen Klavier- und Orgelbauers Edwin Webe und die ersten E-Orgeln der Firma Wurlitzer, produziert seit 1947 in North Tonawanda/USA. Letztere waren mit metallenen Zungen ausgestattet, deren Schwingungen von Tonabnehmern in elektrische Wechselspannung umgewandelt wurden. 1939 begann die Allen Organ Company (Allentown, seit 1953 Macungie/USA) mit der Produktion einer vollelektronischen Orgel und leitete damit eine Entwicklung ein, die in den vierziger und Fünfzigerjahren viele Hersteller aufgriffen und weiterführten. Aber erst in den späten Sechzigern setzten sich elektronische Orgeln gegenüber den elektromechanischen Hammond-Modellen durch. Zu diesem Zeitpunkt hatte der typische Hammond-Sound im Bereich des Jazz und Rock jedoch so deutliche Vorstellungen vom Klang einer E-Orgel ausgelöst, dass bis in die Siebzigerjahre elektronische Instrumente an der Möglichkeit zur Imitation dieses Klangbildes gemessen wurden. Zu den wichtigsten Herstellern elektronischer Orgeln in Geschichte und Gegenwart gehören: Ahlborn, Baldwin, Böhm, Casio, Conn, Crumar, Elka, Farfisa, Godwin, Hohner, Kimball, Lowrey, Siel, Solina, Technics, Vox, Wersi, Wurlitzer und Yamaha. Bei diesen E-Orgeln dienen Sinus-, Rechteck- oder Sägezahngeneratoren (Tonfrequenzgenerator) zur Klangerzeugung. Die Klangsynthese kann durch additive Mischung von Sinuswellen erfolgen, meist kommt jedoch eine vereinfachte subtraktive Synthese zur Anwendung (Filterung obertonreicher Sägezahn- oder Rechteckschwingungen). Aufwendige Instrumente besitzen für jeden Ton einen separaten Oszillator. Die meisten E-Orgeln arbeiten auf der Basis von Muttergeneratoren, d. h. nur für die zwölf Tonstufen der höchsten Oktave sind Tongeneratoren vorhanden, während die Töne der darunter liegenden Oktavbereiche durch Frequenzteilung gewonnen werden. Die Töne der obersten Oktave lassen sich jedoch auch mithilfe eines Top Octave Synthesizers (Schaltung zur Frequenzteilung) aus einer hochfrequenten Schwingung (ca. 1,6 MHz) ableiten, sodass lediglich ein Muttergenerator erforderlich ist. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in der Stimmstabilität des Instruments bzw. der Möglichkeit, die Gesamtstimmung problemlos zu verschieben. Durch die Phasengleichheit sämtlicher erklingender Töne entsteht jedoch ein unnatürliches, lebloses Klangbild. Diesem Nachteil begegnet man, indem man zwei Muttergeneratoren zugrunde legt oder zusätzliche Effektgeräte verwendet, z. B. Phaser, Chorus-Effekt.Mit der Entwicklung der Mikroelektronik und Computertechnik haben sich auch für die E-Orgel die Klangmöglichkeiten beträchtlich erweitert. So stellte die Allen Organ Company 1971 ein Instrument vor, das auf der Grundlage digital gespeicherter Klänge von originalen Orgelpfeifen arbeitete (Puls Code Modulation, Sampling). E-Orgeln, deren Klangerzeugung auf PCM-Sounds beruht, können unter entsprechenden Raum- und Wiedergabebedingungen den Klang einer mechanischen Pfeifenorgel annähernd kopieren. In technischer Hinsicht lassen sich jedoch keine exakten Grenzen mehr zwischen E-Orgel, Synthesizer und Musikcomputer (Computer) ziehen. Als wesentliches Merkmal der E-Orgel bleibt vor allem die aus der traditionellen Spielpraxis der Orgel herrührende Arbeit mit Festregistern (Register, Preset). Die Benennung der einzelnen Register geht von der Fußtonzahl bzw. charakteristischen Registerbezeichnungen der Pfeifenorgel aus, oder sie richtet sich nach der Klangverwandtschaft zu anderen Instrumenten. Durch die Nachbildung bestimmter Klangfarben (Obertonspektrum), verbunden mit den entsprechenden Ein- und Ausschwingvorgängen, können Streich-, Holz- und Blechblasinstrumente, Klavier oder Cembalo imitiert werden. Zu den typischen zusätzlichen Effekten einer E-Orgel zählen Vibrato, Tremolo, Percussion (hartes Anschlaggeräusch), Sustain (Ton klingt noch bei losgelassener Taste nach) und Contracussion (weich einsetzender Klang). Zur Steuerung von Effekten oder zur Einblendung bestimmter Klangkombinationen (Mixturen) dient ein Knieschweller. In moderne Instrumente sind oft zusätzliche elektronische Effektgeräte eingebaut (z. B. Verzögerungsgeräte, Phaser, elektronisches Leslie, Wah-Wah-Effekt, Arpeggiator); darüber hinaus können Synthesizer-Baugruppen, eine Begleitautomatik, ein Sequenzer oder ein Rhythmusgerät enthalten sein.Blieb die Bedeutung der Orgel im Jazz zunächst auf einige Interpreten beschränkt, darunter der stilprägende Jimmy Smith (* 1925), so fand sie im Hardbop und im Rhythm and Blues der Fünfzigerjahre zunehmend als Combo-Instrument (häufig in Kombination mit Tenorsaxophon) Verbreitung. Zu den wenigen bekannten Jazz-Organisten gehören: Milton Buckner (1915-1977), Groove Holmes (1931-1991), Jimmy McGriff (* 1936), Shirley Scott (* 1934) und Larry Young (1940-1978).Im Bereich der Rockmusik wurde die E-Orgel anfangs als Klavierersatz und zur klanglichen Bereicherung des reinen Gitarrensounds genutzt ; sie erhielt jedoch mit dem Aufkommen des Psychedelic Rock und des Artrock bald eigenständige Aufgaben. Im Laufe der Siebzigerjahre erlangten im Ensemble der Keyboards zunehmend E-Piano und Synthesizer Bedeutung, sodass der nach wie vor am Hammond-Sound orientierte E-Orgel-Klang eher als nostalgisch empfunden wurde. Im Zuge der Rückorientierung auf ältere Spielarten der Popmusik (z. B. New Wave, Soul der Achtzigerjahre ) griff man gelegentlich dieses typische Klangbild wieder auf. Nach wie vor sind E-Orgeln als stationäres Hausinstrument anstelle des Klaviers verbreitet. Auch in vielen Tonstudios gehören sie zum Grundinstrumentarium, ebenso wie bei Alleinunterhaltern. Zahlreiche Schallplatten, die unter Titeln wie »Orgel-Sound« oder »Orgel-Spezialitäten« Evergreens oder neue internationale Erfolgstitel in Interpretationen auf diesem Instrument anbieten, beweisen die Klangvielfalt großer E-Orgeln und zeugen von deren Beliebtheit. Ein weiteres umfangreiches Aufgabenfeld fand die E-Orgel im Bereich der sakralen Musizierpraxis, etwa als Instrument kleiner kirchlicher Gemeinden oder als Übungsinstrument.
Universal-Lexikon. 2012.